Sanktionen = Demokratisierung von Belarus?
Geschrieben von: GroM am Mär 3, 2010
(01.03.2010 | Pawel Usow)
Die Frage nach Sanktionen gegen das belarussische Regime ist wieder an der Tagesordnung. Und das bedeutet, dass die Demokratisierung von Belarus, in die Europa so viele Hoffnungen setzte, am Ende erfolgreich scheiterte. Wobei, eigentlich hat die Demokratisierung auch niemals begonnen und alle tiefe Verneigungen, die Alexander Lukaschenko an die EU richtete, entpuppten sich als bloße Verneigungen. Keine besonders geschickten Verneigungen.
Demokratisierung von Belarus – ein schöner Mythos, den Europa für sich selbst geschaffen hat, an den sie unerschütterlich glaubte und wahrscheinlich immer noch glaubt.
Biss in die ausgestreckte Hand
Die Europäische Union glaubte bis zum letzten Moment, dass die Situation in Belarus sich verbessert und dass „der Prozess ins Rollen gekommen ist“. Noch eine Reihe an Visiten seitens der FührungsriSanktionen = Demokratisierung von Belarus? ege europäischer Staaten nach Minsk - und Lukaschenko verwandelt sich in einen Demokraten. Und tatsächlich entstanden Beratungsgremien, demokratische Organisationen „Bewegung für die Freiheit“ und „Rechtsallianz“ erhielten eine Registrierung. Das beeinflusste die belarussische Politik jedoch nicht.
Nach wie vor werden Kundgebungen und Mahnwachen gewaltsam aufgelöst und die Mitgliedschaft in registrierten und völlig harmlosen unabhängigen Organisationen, wie beispielsweise im Schriftstellerverband (es gibt zwei davon in Belarus), kann zum Verlust des Arbeitsplatzes führen. Mit anderen Worten, das belarussische Regime „belächelt“ Europa mit der Bitte um Kredite und Investitionen, zugleich erwürgt es erbarmungslos all das, was sich ihm im Inneren des Landes entgegensetzt.
Was hat sich denn plötzlich in der Politik des belarussischen Regimes verändert, dass die Europäische Union erneut von der Wiederaufnahme der Sanktionen spricht? Im Grunde genommen gar nichts, mit der Ausnahme, dass ein weiteres Mal der Polenverband in Belarus in Angriff genommen wurde. Der längst zersplitterte Verband existiert seit 2005 in zwei Gestalten: in „abhängiger“ und „unabhängiger“ Form.
Und weil die belarussische Macht „eine Jagd auf die Polen“ in Belarus erklärt hat, so die Meinung polnischer Massenmedien, bewertete die polnische Regierung, die übrigens der Initiator der „Östlichen Partnerschaft“ und des Dialogs mit dem belarussischen Regime ist, diese Aktivitäten als „einen Biss in die freundschaftlich ausgestreckte Hand“. Eben die Situation um den Polenverband in Belarus gab den Anlass, laut das Ende der „Liberalisierung“ des Regimes in Belarus zu verkünden.
Liberalisierung contra Demokratisierung
Liberalisieren, nicht demokratisieren. Das Komma steht richtig! Und das Regime wird tatsächlich allmählich und knirschend „liberalisiert“. Nur wird dieses schöne Wort „Liberalisierung“ von der belarussischen Regierung, der Opposition und in Europa mit unterschiedlichen Bedeutungen belegt.
Der berühmte deutsch-spanische Politologe Juan Linz deutete vor etlichen Jahren auf die Tatsache hin, dass die Liberalisierung nicht zum Synonym für die Demokratisierung werden kann und bezieht sich ausschließlich auf die Transformation ökonomischer Prozesse in den Staaten mit nichtdemokratischen und nichtliberalen Regimes, wie beispielsweise die kommunistische Staaten. Mehr noch, die Liberalisierung kann die Demokratisierung ausschließen und führt bei Weitem nicht immer zu politischen Veränderungen. Die Prozesse der Liberalisierung üben keinen Einfluss auf die „Lebensfähigkeit“ eines Regimes aus: Liberale autoritäre Regime sind ähnlich langlebig wie nichtliberale Regime. Solange die Macht im Stande ist, seine Bürger zum Gehorsam-sein-wollen zu zwingen, wird das nichtdemokratische Regime im liberalen oder nichtliberalen Zustand existieren können.
Die Liberalisierung des belarussischen Wirtschaftsystems bedeutete von Anfang an keine Demokratisierung des politischen Systems. Es gab nicht einmal irgendwelche Andeutungen auf die Demokratisierung in Belarus. Irgendjemand wollte sie partout finden und fand sie auch wahrscheinlich.
Das belarussische Regime, rational und methodisch in seiner Politik, wird niemals politische Zugeständnisse machen und die zentrale Bedeutung der Liberalisierung besteht ausschließlich in der Suche nach neuen Ressourcen, um das bestehende Regime zu stabilisieren. Mit anderen Worten, das belarussische Regime kann regieren und die belarussische Gesellschaft will noch gehorchen. Und keine Liberalisierung ist im Stande, die gegenwärtige Situation zu beeinflussen.
Unabhängigkeit contra Demokratie
Was ist besser, Unabhängigkeit ohne Demokratie oder Demokratie ohne Unabhängigkeit? – eine rhetorische Frage. Einerseits, man kann kaum davon ausgehen, dass der Verlust der Unabhängigkeit von Belarus der Entwicklung der Demokratie förderlich sein wird. Andererseits, aber, kann man ebenfalls schwer überzeugt davon sein, dass ohne Demokratie die reale Unabhängigkeit von Belarus möglich ist.
Das Regime von Lukaschenko – ist kein stabiles „Ding“ und die Demokratisierung des Landes ist für ihn ein dehnbarer Begriff. Ich persönlich glaube nicht daran, dass Lukaschenko jemals zum Garanten der Unabhängigkeit von Belarus werden kann. Die Unabhängigkeit war für ihn immer ein Handelsgegenstand und bleibt es auch, aber nur mit Russland. Und es kann so kommen, dass Belarus weder Demokratie noch Souveränität besitzen wird.
Die Bewahrung der Unabhängigkeit von Belarus ist schließlich zu einer weiteren Illusion geworden, der die EU Glauben schenkt und dabei bereit ist, dafür die Demokratie zu opfern. Das eben wurde zu einer der offiziellen Rechtfertigungen für die Aufhebung der Sanktionen gegen das Regime. Doch eigentlich resultierte die Aufhebung der Sanktionen aus ihrer Ineffektivität, weniger aus moralischer Betrachtung der Problemlage. Zur Hauptkomponente der neuen europäischen Politik im Bezug zu Belarus wurde die Entwicklung des Dialogs mit dem Regime. Ausgerichtet wurde dieser Dialog auf die Einbeziehung von Belarus in die politische Einflusssphäre der EU und somit auf die „Rettung“ der Unabhängigkeit von Belarus.
Die regelmäßigen „Wirtschaftskriege“ zwischen Belarus und Russland verstärkten den Glauben hinsichtlich der Richtigkeit neuer europäischer Politik. Die „Kriege“ mit Russland betrachtete man als das Bestreben von Lukaschenko nach der Unabhängigkeit in seinen Entscheidungen und der Emanzipation gegenüber von Moskau sowie als die Unzufriedenheit Russlands hinsichtlich des Annäherungsprozesses zwischen Belarus und der EU. Das Regime von Lukaschenko nahm man plötzlich als eigenständig und dessen Unabhängigkeit und Stabilität als einen Bestandteil der Souveränität des Staates wahr. Aus diesem Grund begann die EU, die die Demokratisierung in Belarus bis dahin nicht retten konnte, mit der Rettung seiner Souveränität, in der Hoffnung, dass dies politische Veränderungen nach sich ziehen würde.
Wie effektiv sind die Sanktionen?
Im Licht aktueller Ereignisse ist deutlich geworden, dass Lukaschenko entweder die Freundschaft mit der EU nicht besonders schätzt oder fester Überzeugung ist, dass der Wunsch Europas „die Souveränität von Belarus zu retten“ stark genug ist, und die EU eine weitere bittere Pille schlucken wird. Und wieder kommen wir zu der Frage nach dem Preis der Souveränität. Lukaschenko ist ein gewiefter Händler und will bei der Antwort aus Europa vorgreifen: sollte die EU seine „Ware“ nicht schweigend akzeptieren wollen - so wie sie ist, mit allen Mängeln, dann verkauft er sie einfach an Russland. Etwas anders ausgedrückt: sollte die Europäische Union sich weiterhin darüber empören, was in Belarus passiert, wird Lukaschenko sich wieder Russland zuwenden, von der er sich, nebenbei erwähnt, auch niemals richtig abgewandt hat.
In der Realität ist die EU einfach außer Stande auf die politische Situation in Belarus und auf das Verhalten von Lukaschenko Einfluss zu nehmen. Der politische Druck, den der Westen bis 2008 ausgeübt hat, hinterließ keinerlei Auswirkungen auf die Stabilität des Regimes und seine Innenpolitik.
Auf einer Seite, die Sanktionen der EU richteten sich ausschließlich gegen die Staatsführung und nicht gegen das System und das Regime an sich. Auf der anderen Seite, ihre Aufhebung wurde zum symbolischen Sieg des Regimes bei der Konfrontation mit Europa, und bestärkte Lukaschenko im Glauben, dass er weiterhin gelassen die Opposition unterdrücken und nebenbei mit der Souveränität und der geopolitischen Lage des Landes feilschen kann.
Sollte Europa aber auf die Politik der belarussischen Macht nicht reagieren, dann wird es zum Anlass für die Ausweitung von Repression im Land, die im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen unausweichlich kommen werden. Man könnte sagen, dass das gegenwärtige Vorgehen der belarussischen Macht gegen den Polenverband ein Sondierungsschritt für weitere Angriffe auf die Bürgergesellschaft in Belarus ist. Dabei wird das Regime munter weitere Beratungsgremien gründen und die Treue den Ideen der Demokratie schwören.
Zur gleichen Zeit ist die Rückkehr der EU zum früheren System der Sanktionen, das bis 2008 existierte, aufgrund seiner Ineffektivität unmöglich. Die Sanktionen müssten weit auf die Wirtschaft ausgedehnt werden, was einem Embargo gleich stünde, oder grundsätzlich abgelehnt werden.
Wird die belarussische Frage „totgeredet“?
Auf diese Weise ist die EU in eine schwierig Situation geraten: das Fehlen einer Reaktion ihrerseits würde bedeuten, dass die europäische Gesellschaft absolut machtlos in der Lösung belarussischer Frage ist. Die Einführung ausgeweiteter Sanktionen scheint dabei unwahrscheinlich - aus dem Grund, weil, Erstens, Belarus heute bereits ein wichtiger wirtschaftlicher Partner für viele europäische Länder wie Polen, Deutschland, Niederlanden ist, somit würden solche Sanktionen auch die europäischen Interessen treffen. Zweitens, Russland würde die entstandene Situation für die Verstärkung des Drucks auf Belarus ausnutzen, was zur Ausweitung der wirtschaftlichen und politischen Kontrolle seitens des östlichen Nachbars führen würde. Wobei - ob mit Sanktionen oder ohne – Russland setzt auch so schon alle Anstrengungen ein, um die verlorenen Gebiete zurückgewinnen zu können.
Was die Beziehung EU - Belarus betrifft, so werden europäische Politiker die Situation in Belarus sehr wahrscheinlich in den Zustand „permanenter Abstimmungen bzw. Besprechungen“ überführen und somit das Problem einfach „totreden“. Damit bewahren sie ihr Gesicht, ohne dabei etwas unternehmen zu müssen.
Original: http://n-europe.eu/article/2010/03/01/sanktsii_demokratizatsiya_belarusi
Übersetzung: Maxim Grouchevoi / BelarusNews
Warum muss Belarus eigentlich demokratisch werden? Was ist der Vorteil eines Staates, der von wechselnden und widersprüchlichen Privatinteressen regiert wird, gegenüber einem Staat mit stabilen Kollektivinteressen?
Belarus ist so klein, und weltweit eine derartige Ausnahme, dass es seine Besonderheiten behalten kann, ohne Schlimmes befürchten zu müssen.
Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, mit Ausnahme aller derzeit praktizierten anderen. So oder so ähnlich hat es Churchill gesagt. Und das stimmt leider noch immer. Belarus ist absolut keine Ausnahme.
Die Gemeinsamkeit zwischen den Mächtigen ist, dass sie ihre Macht erhalten wollen, egal, welche Regierungsform.
In der Demokratie regieren hauptsächlich die Privatinteressen der gerade Mächtigen - als Allererstes der Machterhalt - und vielleicht ab und zu Kollektivinteressen, aber die Regierenden können wenigstens abgewählt werden. In Belarus sind es die "stabilen Kollektivinteressen" des derzeit regierenden und nicht abwählbaren Kollektivs. Pech für die, die nicht an diesen Plätzen sitzen und das Auszubaden haben.