Vom Ufer der Memel: "Es geht immer weiter"
Geschrieben von:
felixackermann
am Sep 2, 2006
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Memel
,
Hrodna
Die Zerstörung historischer Bausubstanz in der Altstadt von Grodno schreitet voran.
Wie von den wenigen aktiven Gegern vermutet, musste nun eine Reihe von Holzhäusern an der ulica Gorkaha weichen. Der Grund: das Stadion, das auf dem Gelände des großen jüdischen Friedhofes gegenüber dem historischen Viertel errichtet wurde, soll als Ort der erfolgreichen Strategie zur Verbesserung der Lebensbedingungen in Weißrussland inszeniert werden. Da der Lebensstandard tatsächlich zunimmt und immer mehr (gebrauchte, u.a. aus Deutschland eingeführte) Autos unterwegs sind, wurden Parkplätze benötigt, dafür sollte der Straßenverlauf geändert werden. Dass dafür nun neben einigen Holzhäusern aus den 1920er Jahren nun auch eines der wertvollsten Gebäude des Konstruktivismus in Grodno abgetragen werden soll, sorgt in Fachkreisen allein für Schulterzucken. So hatten sich zuvor Aktivisten der Internetplattform
www.harodnia.com
dafür stark gemacht, auch Gebäude aus der Zwischenkriegszeit unter Denkmalschutz zu stellen und vor dem Abriss zu bewahren. Aber nachdem nun bereits alle anderen Häuser der Straße verschwunden sind, gibt es nur noch wenig Hoffnung für das Haus Nr. 17. Mit der Zerstörung des noch vorhandenen Kulturerbes setzt die weißrussische Nomenklatura eine sowjetische Tradition fort. Denn bereits 1961 wurde der jüdische Friedhof mit Tausenden wertvollen Zeugnissen jüdischen Lebens der Stadt eingeebnet, 2004 war bei Bauarbeiten am Stadion erneut das von menschlichen Gebeinen durchsetzte Erdreich aufgewühlt worden. Dass sich gerade hier das Regime Lukaschenko inszeniert, ist kein Zufall – es gab im Innenstadtbereich es nur wenige Grundstücke von diesem Ausmaß. Dass nun selbst die Häuser gegenüber verschwinden, zeugt von den Ambitionen der Verwaltung, nachhaltige Akzente zu setzen. Was folgt sind Formsteine.
Vom Ufer der Memel: 10.06.2006
Geschrieben von:
felixackermann
am Jun 10, 2006
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Hrodna
Es war einmal ein Pole, der sich in seiner Heimat so sehr bedroht fühlte, dass er beschloss, in Weißrussland politisches Asyl zu suchen.
Schon lange hatten ihn unheilvolle Wellen verfolgt: Magnetwellen, Elektrowellen, Kurzwellen, Langwellen, Funkwellen. Er sah dahinter eine Verschwörung der deutschen und jüdischen Großgrundbesitzer, die wieder die Herrschaft über Polen gewonnen hatten. Seine Klagen waren vergeblich, die Sendestation in der Nähe seines Hauses wurde nicht abgeschaltet. Er entsagt also seiner Heimat und machte sich auf den Weg ins Nachbarland. Dort wusste man nicht so recht, was man mit ihm anfangen sollte. Immerhin hatte er sein Anliegen schriftlich formuliert und übersetzen lassen. Dennoch wurde ihm kein politisches Asyl gewährt. Er meinte es aber ernst. Er meinte es so ernst, dass er bereit war, für den weißrussischen KGB zu arbeiten. Er ging also in die Zentrale des Geheimdienstes und bot seine Dienste an. Aber keiner der Offiziere sprach Polnisch. Um sein Russisch war es auch nicht gut bestellt. So blieb ihm auch die Zusammenarbeit mit dem KGB verwehrt. Er musste nach Polen zurückkehren. Und wenn er nicht gestorben ist, so leidet er noch heute.
literaria
.org - Polnische
Vom Ufer der Memel: Rettet Grodno!
Geschrieben von:
felixackermann
am Jun 1, 2006
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Hrodna
Der Brief, mit dem weißrussische Historiker die europäische Öffentlichkeit auf die Zerstörung historischer Substanz der Altstadt von Grodno hinweisen, ist ein Zeichen von Verzweiflung. Nachdem sie auf allen Wegen versucht haben, ihre Argumente in ihrer Stadt und ihrem Land selbst publik zu machen und immer wieder ignoriert wurden, greifen sie nun zum letzten Mittel und wenden sich an alle Intellektuellen Europas.
In Grodno residierten einst litauische Großfürsten und polnische Könige – unter ihnen auch August der Starke als Wahlkönig der Adelsrepublik. Heute haben hier Bagger und Planierraupen das Sagen. Der ehemalige Marktplatz sollte für das an diesem Wochenende stattfindende Fest der nationalen Kulturen zu einem post-sowjetischen Vergnügungspark umgewandelt werden. Dabei wurden nach Angaben der Historiker Jahrhunderte alte Kulturschichten zerstört, ohne zuvor archäologische Untersuchungen nach europäischen Standards durchzuführen.
Kürzlich rettete allein der körperliche Einsatz von einigen Aktivisten, die sich in einer Baugrube festgesetzt hatten, das Mauerwerk des Adelspalais der Familie Radziwillow vor der Zerstörung durch einen Bagger. Nach ihrer kühnen Streikaktion am Fuße der Kellergewölbe wurde der Ausgang eines neuen Fußgängertunnels immerhin um einige Meter verlegt. Weiterhin bedroht von den Umbauarbeten sind die Fundamente des einstigen Rathauses, dessen Mauern nach Ende des Zweiten Weltkrieges von der sowjetischen Stadtverwaltung abgetragen wurden.
Vom Ufer der Memel: Grodnoer Konstruktivismus?
Geschrieben von:
felixackermann
am Mai 20, 2006
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Grodnoer Konstruktivismus? Weißrussischer Bauhaus-Stil? Polnischer Formalismus? Man mag es kaum glauben, aber die Stadt an der Memel hat neben barocken Kirchen, einer Renaissancesynagoge und eklektizistischen Bürgerhäusern auch eine ganze Reihe von bemerkenswerten Bauten aus den 1920er und 1930er Jahren zu bieten.
Nachdem die Stadt ab 1921 auch völkerrechtlich zur Zweiten Polnischen Republik gehörte, begann zunächst der Wiederaufbau nach den Zerstörungen des Ersten Weltkriegs. Zunächst versuchte man in Polen, mit historischen Formen an die Geschichte der Adelsrepublik anzuknüpfen. Doch in Warschau setzten sich im Laufe der 1920er Jahre die internationalen Ideen des Funktionalismus durch. Dabei ließen sich polnische Architekten sowohl vom Dessauer Bauhaus als auch von russischen Konstruktivisten beeinflussen.
In Grodno waren diese Einflüsse erst in den frühen 1930er Jahre zu spüren, als das neue Bürgertum der Stadt, vorrangig aus Offizieren, Verwaltungsangestellten und Unternehmern bestehend, in eigens für sie geschaffenen Straßenzügen Villen im neuen, modernen Stil zu errichten begann. An den vielen erhaltenen zweistöckigen Holzbauten ist zu erkennen, dass die Einflüsse aus Russland und Deutschland über Warschau, nicht aber über die Hauptstadt der damals schon existierenden Belarussischen Sozialistischen Sowjetrepublik, Minsk, nach Grodno gelangten.
Vom Ufer der Memel: Das Festival der nationalen Kulturen
Geschrieben von:
felixackermann
am Mai 10, 2006
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Memel
Vom 2. - 4. Juni 2006 findet am Ufer der Memel wieder das Festival der nationalen Kulturen statt. Das Großereignis hält die Stadt bereits Monate zuvor in Atem. Anbei finden sie das Tagebuch einer Exkursion zum Festival 2004. Weitere Informationen zum Projekt finden Sie unter
Grodno
Unterwegs nach Grodno
Die Schaffnerin des ukrainisches Waggons blickt mißtrauisch auf das polnische Gruppenticket. Im Zug ist es stickig. Gleich nach der Abfahrt aus Frankfurt (Oder) laden Tomek, Lukasz und Phillip, der Viadrina-Jiddisch-Klub, auf einen Schluck Wein ein. Siebzehn Studenten aus Polen, Deutschland, Bulgarien und Estland stehen tuschelnd auf dem Gang und begeben sich mit einem Plastikbecher in der Hand auf die Reise von West nach Ost: nach den Weingebieten in Chile und Calfornien durchstreifen sie die Hänge in Spanien und Italien. Bald ermahnt sie die Schaffnerin, dass es Zeit zum Schlafen sei. So gelangen sie nicht mehr nach Ungarn und Moldavien. Doch im Abteil des Jiddisch-Klubs geht die Reise weiter — diesmal in die Vergangenheit. Tomek zieht eine Schwarz-Weiß-Kopie mit hebräischen Zeichen aus der Tasche und liest auf Jiddisch das Märchen von den 36 Weisen vor. Er erklärt einzelne Wörter, schweift ab und beginnt die Geschichte der Sprache zu erläutern. Die anderen lachen über den Eifer. Es findet sich noch eine Flasche Wein und jemand zaubert eine große Tüte mit Hähnchenschenkeln, Tomaten und Brot hervor. Lange nach Poznan gehen die letzten erschöpft in ihre Abteile. Zwei Stunden später, am Horizont geht gerade die Sonne auf, rüttelt die Schaffnerin an den Türen — in einer Stunde sind wir in Warschau. Von hier ist es nicht mehr weit. Die dreihundert Kilometer in die weißrussische Grenzstadt legen wir mit drei mal Umsteigen in fünf Stunden zurück.
Vom Ufer der Memel: Die Stadtverwaltung
Geschrieben von:
felixackermann
am Apr 14, 2006
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Memel
Es ist einer jener Tage, an denen den Heimatforschern, Lokalpatrioten und Alteingesessenen der kulturelle Herzstillstand droht. Die Stadtverwaltung hat begonnen, eines ihrer neumodischen Projekte zu realisieren.
Auf dem ehemaligen Marktplatz, der heute Sowjetskaja heißt, walten nun Bagger, Planierraupen und Bauarbeiter, denen die Schichtungen der Vergangenheit unter dem Platz herzlich egal ist. Im Stillen machen die Patrioten der Altstadt Fotos, sie drehen Videofilme und inzwischen ist sogar eine eigene Homepage über den Stadtumbau entstanden:
Grodnoproblem
, die den stillen Protest manifestiert. Doch die Bauarbeiten werden in Eile weitergeführt, denn bis zum Festival der nationalen Kulturen Anfang Juni muss der zentrale Platz der Stadt in neuem, matten Formsteinglanz erstrahlen.
Dieses Phänomen ist keine Grodnoer Besonderheit. Als zum Beginn der 1990er Jahren der Kapitalismus in Polen Einzug hielt, wurde das ganze Land mit grauen und dunkelroten Formsteinen gepflastert, die als Polbruk bekannt wurden. Es handelte sich um eine symbolische Befreiungsaktion vom Beton- und Staubmuff des Sozialismus und galt als der letzte Schrei. Nun, da man in Polen beginnt, zu begreifen, dass der gemeine Polbruk nicht zu den besten Baumaterialien gehört, ist auch Aliaksandr Lukashenka auf den Geschmack gekommen: er lässt sein ganzes Land mit grauen und dunkelroten Formsteinen pflastern.
Vom Ufer der Memel: BRSM
Geschrieben von:
felixackermann
am Apr 7, 2006
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Memel
Eine Woche lang haben die Aktivisten des weissrussischen Jugendverbandes BSRM jeden tag von zwölf bis vier Uhr vor dem polnischen Konsulat gegen die Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Republik Belarus zu demonstrieren. Zu den zwei Dutzend Jugendlichen gesellten sich jeden Tag einige Rentner, um mit Sprüchen wie “Hoch lebe die slawische Brüderschaft” für die Verbesserung der polnisch-weissrussischen Beziehungen einzustehen. Der Ruf: “Wir beharren auf unserem Standpunkt” wurde von der Schlange vor Konsulates prompt erwidert: “Und wir beharren auf unseren Visa”. Die Visaabteilung wurde jeden Tag während der Kundgebungen geschlossen und viele Grodnoer konnten ihren Geschäften in Polen nicht nachgehen. Statt schnell mit ihren zweiten Pass eine neues Visum für den kleinen Grenzverkehr zu beantragen hörten sie Sprechchöre wie: “Bruder Pole verrat uns nicht, Belarusse verkauf dich nicht!” “Wir sind für Zloty nicht zu haben.” Der Drahtzieher vom BRSM stiftete zum Schluss noch einen Sprechchor, damit wirklich allen klar ist worum es hier geht: “Lieber die letzte Diktatur in Europa als die erste Hure Amerikas!”
Vom Ufer der Memel: 03.04.2006
Geschrieben von:
felixackermann
am Apr 3, 2006
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Memel
Die Spatzen rufen es von den Dächern: Schon sechs Tage war der Präsident nicht im Fernsehen erschienen. Zuvor hatte man den Eindruck, dass er 24 Stunden am Tag präsent war.
An einigen Tagen hatte er eine gute Nachricht, an anderen warnte er das Volk vor bösen Einflüssen. Und an manchen Tagen erhob er seinen Zeigefinger und belehrte die Weißrussen über die Notwendigkeit das Vaterland zu schützen. Doch nach seinem mehr oder minder „eleganten Wahlsieg“ verschwand er vom Bildschirm. Sollte ihm etwas zugestoßen sein? Hat er sich nach erfolgreicher Wiederwahl eine Woche Urlaub gegönnt? Oder liegt er erschöpft danieder?
Am sechsten Tag erschien er wieder, ermattet und verunsichert. Er sprach zu den Fernsehzuschauern anders als sonst. Etwas war vorgefallen, etwas hat sich verändert. Denn er forderte kleinlaut: „Was hängen überall meine Portraits im Land. Nehmt sie ab, ein kleines Foto reicht auch. Am Ende wird man mich noch des Führerkults beschuldigen!“ Am nächsten Tag in der Meldestelle war, begrüßte mich die zuständige Beamtin: „Ach Ackermann ist wieder im Lande!“ Sie war bester Dinge, denn nur wenige Ausländer belästigen sie derzeit während der Arbeit. Nachdem sie meine Registrierung murrend vorgenommen hat, bemerke ich beim Verlassen des Raumes den Nagel und den Schatten an der Wand. Sie hatte das Portrait des obersten Dienstherren bereits abgehängt.
Vom Ufer der Memel: Grodno nach der Wahl
Geschrieben von:
felixackermann
am Mär 29, 2006
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Memel
In Grodno geht nach der Wahl alles seinen Gang, als hätte sie gar nicht stattgefunden. Nur einige Werbeposter und Busaufschriften erinnern noch an die rot-grüne staatliche Kampagne „Für Belarus!“. Über das Schicksal der verhafteten Aktivisten, die in Minsk auf dem Oktoberplatz ausharrten ist hier in der angeblichen Hochburg des Nationalen nicht viel bekannt.
Dass man nun um Milinkiewicz fürchten muss, wissen hingegen nicht nur Eingeweihte. Viele sind sich hier sicher, dass ihm in Grodno jede dritte Stimme gehörte. Andere behaupten, dass selbst ohne Fälsch in der Sieldung Foliusz am Stadtrand, wo die demobilisierten Armeeangehörigen leben, 75 % für Alexander Lukaschenko gestimmt haben. Die Oppositionskreise sind dennoch nicht wie vor fünf Jahren in Ratlosigkeit versunken. Sie haben das Gefühl, dass etwas geschehen ist, dass ein Ruck durch die Gesellschaft gegangen ist. Dieser ist freilich auf der Straße oder im Trolleybus nicht zu spüren, aber gemeint ist auch eine Veränderung des inneren Zustandes. Diese nehmen vor allem die Aktivisten selbst wahr, denn viele von ihnen haben nicht mehr daran geglaubt, dass man unter den gegebenen Umständen etwas erreichen kann.
Im Bezirksarchiv jedenfalls ist alles beim Alten. Nur eine Sonderausstellung und ein rot-grünes Plakat im Lesesaal deuten auf die Wahlen hin. Die Ausstellung setzt die demokratischen Wiederwahlen Alexander Lukaschenkas als Staatsoberhaupt in den rechten Kontext: nach kurzer Erwähnung der Wahlen ins polnische Oberhaus in den Jahren 1930 und 1935 erscheinen an Wandzeitungen ausführliche Auszüge aus Dokumenten der Jahre 1940, 1946 und 1956, als Grodno sowjetisch war: das Volke durfte damals im demokratischsten Land der Welt seine selbst erwählten Vertreter in den Obersten Sowjet der UdSSR entsenden. 1951 war das zufälliger Weise und aus gänzlich freien Stücken Nikita Chrushchov. In Parteidokumenten, die in Vitrinen ausgelegt sind, werden immer neue Erfolge der Vorbereitung der Wahlen verkündet. Eine genaue Aufstellung der durchgeführten Informationsveranstaltungen wird gezeigt (damals sprach man noch wertfrei von Propaganda), die Anzahl der Teilnehmer wird genau angegeben, Probleme bei der Durchführung angesprochen. Im nahen und heute in Polen liegenden Städtchen Sokólka waren bei 34 Kundgebungen 950 Teilnehmer, die 25 Informationsveranstaltungen unter dem Motto „Die Lage vor den Wahlen“ waren mit 1000 Personen noch besser besucht. Der Macher der Ausstellung, ein Mitarbeiter des Archivs, gibt zu, dass er die Ausstellung in Eile vorbereitet hat, dass sie eh niemanden interessiert und dass der Anlass die Präsidentenwahlen waren. Man ist hier so weit abgestumpft, dass der doppeldeutige Bezug einer freien Wahl unter Lukaschenko im 21. Jahrhundert und stalinistischen Wahlprozeduren in den 1940er und 50er Jahren niemandem mehr auffällt.
Vom Ufer der Memel: Sie können nicht anders
Geschrieben von:
felixackermann
am Mär 15, 2006
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Wenn Andrzej Poczebut gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde, macht er weiter, wo er aufgehört hat. Er schreibt für die polnische Minderheit über die sowjetischen Verfolgungen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg genauso wie über die Repressionen des Bundes der Polen zum Beginn des 21. Jahrhundert.
Zusammen mit seinem Kumpel Andrzej Pisalnik füllen sie ein ganzes Magazin unter verschiedenen Pseudonymen. Denn von den Polen vor Ort ist niemand sonst so mutig und verrückt zugleich, um dauerhaft mit den Windmühlen des Regimes zu kämpfen. Sie hatten früher ganz friedlich für die Zeitung der polnischen Minderheit gearbeitet. Doch dann wurde diese zunehmend regimetreu und sie mussten gehen. So wurden sie zu den journalistischen Musketieren des Grodnoer Strippenziehers Markiewicz, dessen Zeitung Pahonia sie von nun an mit ihren kompromisslosen Nachrichten füllten. Hier wurde kein Blatt vor den Mund genommen, hier arbeitete man frontal gegen Alexander Lukashenko, ohne Rücksicht auf Verluste. Markiewicz saß in Folge mit einem Kollegen wegen Präsidentenbeleidigung ein, die Pahonia wurde geschlossen. Im Internet wurde weiter gekämpft. Markiewicz hat nach der Freilassung keine Zeit verstreichen lassen und umgehend die neue Wochenzeitung „Den“ – „Der Tag“ herausgegeben. Erneut folgen Durchsuchungen, Konfiszierungen, Geldstrafen.
Als im Bund der Polen eine neue demokratisch gesinnte Führung gewählt wird, kommen Poczebut und Pisalnik als Geheimwaffen zum Einsatz. Sie sollen das Organ der Minderheit, „Die Stimme vom Ufer der Memel“, auf Vordermann bringen, nachdem es zu einem Rentnerblatt verkommen war. Und was tun sie? Pünktlich zu den Feierlichkeiten der Befreiung Weißrusslands durch die siegreiche Rote Armee, titeln sie: für uns war es keine Befreiung. Ausführlich beschreiben sie das Schicksal der polnischen Heimatarmee, die im Nordwesten des Landes als Banditen und Terroristen bekämpft wurden, obwohl sie allein ihr Vaterland verteidigten. Innerhalb von wenigen Wochen wird ihnen der Druck in der Bezirksdruckerei verwehrt, eine legale Alternative gibt es nicht. Stattdessen erscheint ein Nacht-und-Nebel-Double der „Stimme vom Ufer der Memel“, die die Wahrheiten des Regimes verbreitet. So bleibt Poczebut und Pisalnik nichts anderes, als ihr Blatt von Polen aus herzustellen. Zuvor kommen sie aber noch für eine Protestaktion auf dem Grodnoer Leninplatz für zwei Wochen ins Gefängnis. Und so geht es immer weiter. Trifft man sie, sind sie stets in bester Laune. Sie wissen was sie tun und glauben fest daran, dass auch dieses Regime eines Tages untergehen wird. Steht man erstmal außerhalb der durchherrschten Gesellschaft, lebt es sich leichter. Den Preis für diese Freiheit zahlen vor allem die Angehörigen, die in ständiger Angst leben und die ihre Arbeit verlieren. Nur wenige sind bereit, diesen zu zahlen. Derzeit sitzt Andrzej Poczobut erneut für zehn Tage hinter Gittern - er hat angeblich gegenüber einem Polizisten ein grobes Wort in den Mund genommen. Vorwand genug, ihn für die Zeit der Wahlen aus dem Verkehr zu ziehen.