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Vom Ufer der Memel: 27.03.2005

Posted by: felixackermann

Tagged in: Memel

felixackermann
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Klassisches post-sowjetisches Sujet: ein Mensch liegt auf der Straße und niemand hilft ihm. Es ist Ostersonntag, die Kirchen sind gut gefüllt und wie sonst auch, schütteln die Passanten nur mit dem Kopf: Suffköpfe gehören schließlich in die Klapse, nicht unter Leute. Als typischer Ausländer nehme ich mir ein Herz und gehe auf den zuckenden Körper zu.

Die ältere Frau blutet, hat sich aber nicht schwer verletzt. Mit einiger Kraft richtet sie sich auf und wir torkeln los. „Ich wohne um die Ecke“, lallt sie und knickt wieder ein, sie möchte am liebsten liegen bleiben. „Reißen sie sich ein bisschen zusammen, ich bringe sie nach Hause“, brülle ich sie an. Vom Hof her Stolpern wir in den Hausaufgang, jede Stufe bedeutet für die Frau eine erneute Verlockung, einfach liegen zu bleiben. „Fassen sie das Geländer an“ brülle ich erneut. Auf dem Treppenabsatz angekommen stöhnt sie „Wohnung Nummer vier“. Ich klingle, eine junge Stimme fragt „Wer da?“. „Ania, ich bins, lass mich rein, ich will nach Hause“. „Wer ist der Typ an deiner Seite“ schallt es hinter der Tür. Mein christliches Verantwortungsgefühl ist erschöpft und ich sage laut und deutlich: „Ich habe ihre Mutter auf der Straße vor ihrem Fenster gefunden und übergebe sie nun in ihre Hände. Frohe Ostern!“. Als ich das Haus gerade verlasse, höre ich das Knallen der Tür. Die Alt muss in die Wohnung der Tochter gestürzt sein, so schnell ging es. Oder liegt sie noch im Flur? Ich beschließe, dass es nicht meine Angelegenheit ist. In der Kirche am Sovetzkaja Platz beten alle, als wäre nichts geschehen.



Vom Ufer der Memel: 26.03.2005

Posted by: felixackermann

Tagged in: Memel

felixackermann
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Samstag nachmittag. Die Katholiken der Stadt bereiten sich auf die Auferstehung des Herrn vor. Die Sonne hat die Wege aufgeweicht, Grau liegt über den Plattenbauten. In einem Hinterhof liegt das College of Fine Arts. Im Konzertsaal flimmern Bilder von New York, Tokyo und Kapstadt. Hinter der Leinwand spielt die Band X-mas live. DJ Finik legt auf.

Es flackern Bilder vom Fliegen: Fort von hier, in eine andere Welt, über den Wolken, von der Kante eines Hochhauses – alles ist Suchbewegung, Selbstmord und Flucht. Alles verschwimmt zu einem globalen Trip, Lola rennt, Tom Cruise sprintet, der Film scheint zu reißen. Doch die Musik geht weiter. Sie zerrinnt in den verspielten Rhythmen von Drum´n Base, das Publikum sitzt still. Nun fällt die Leinwand und Aisha singt auf Weißrussisch rockige Lieder: über den Likör Krambambulia, den die völkisch erwachten Weißrussen zu ihren nationalen Getränk auserkoren haben. Nur die einheimische Bevölkerung weiß noch nichts von ihrem Glück. Aisha singt ohne Komplexe lautstark über die Liebe, denn diese kann als einzige retten aus dieser Depression. Und dann taucht auf der Bühne eine Tänzerin auf, die so tut, als wäre sie in einem Nachklub. Die Musik schwenkt in russische Elektro-Popsa um und die Dame greift zum Mikrofon. Nun erhebt sich auch ihr Fanklub aus den Sesseln und beginn vor der Bühne wild umherzuspringen. Es könnte bestimmt richtig die Post abgehen. Aber in den langen Stuhlreihen sitzen nicht mehr als vierzig Gäste.



Vom Ufer der Memel: 17.03.2005

Posted by: felixackermann

Tagged in: Memel

felixackermann
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Du schon wieder – was suchst du hier? Du weißt doch: „Der Sozialismus ist der langweiligste von allen ismen“. Warum gehst du nicht zurück in den Westen, wo die Welt noch in Ordnung ist. Hier passiert nichts, nicht auf der Straße, nicht im Theater, nicht bei den Leuten zu Hause. Stillstand. Niedergang. Untergang. Willst du den Leuten an die Wäsche? Guck lieber nicht genau hin, es ist ein trauriges Spektakel das hier gegeben wird. Ich flehe dich an, bleib nicht hier, komm am besten nie wieder! Na gut, du willst bleiben, aber dann lass dich nicht ein mit den ganzen Pseudopolen, lass die Juden in Ruhe und glaube bloß nicht den Weißrussen. Sie sind alle Kommunisten.



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